Galerie Partikel, Luzern Eröffnung: Freitag, 29. April 2005 Einführende Schnurzüge:                  Max Christian Graeff Diese Worte des ‹trunknen Lieds› aus dem ‹Zarathustra› mögen der Anfang sein und das Ende, der Anfang und das Ende dieser Ausstellung. Sie stehen auf einem Stein in Sils-Maria, am Nietzsche-Weg in Gedenken an dessen Aufenthalt hier, Über den er sagte, was mir auch durch den Kopf ging, als ich die ‹Vier Jahreszeiten› von Roland Pirk-Bucher erstmals sah: ‹In mancher Natur-Gegend entdecken wir uns selbst wieder, mit angenehmem Grausen.› Doch dann sah ich: Nein, halt, das bin ich nicht, kann ich gar nicht sein, ich hab doch gar keinen Hut, keinen Veitstanz in den Gliedern, ich hab kein Ungeschlechtsteil, hab diese Unbedarftheit nicht, dieses Lachen, dieses Nichtweinen,  die Gezerrtheit in den Extremitäten, diese rasende Unruhe bei allem Stillstand; ich hab diese Berge nicht, die hinten in Gegenrichtung vorüberjagen, nicht diese Unempfindlichkeit gegen jedwede Jahreszeit; fraglich hingegen bleibt, ob ich überhaupt eine Jahreszeit habe, gar keine Zeit dafür, allein heute wurden mir, in aller Stille, drei Mal die Cornflakes weich. Und weiche ess ich nicht. Also doch, also, ich bin’s, auch ich, wir alle sind’s und keiner, und damit sind wir schon wieder beim Zarathustra, bei (Zitat) ‹der Zeit, in die wir geworfen sind›. Noch immer, und es hat sich nicht nur nicht geändert, sondern ist im Gegenteil noch vielfach stärker geworden in den Durchlauferhitzern der Geschichte des 20. Jahrhunderts, ist der Mensch sich fremd, das heisst, er ist sich nicht fremd per se, sondern er ist sich stets fremd geworden, meint immerdar, sich einmal gekannt zu haben in einer Welt, die weder wahr noch scheinbar war. ‹ALSO›, höre ich Sie jetzt sagen, ‹zum Teufel damit, die Rede hat gerade erst begonnen und schon stecken wir tief im Schlamassel. In einem solchen steckte allerdings auch Jean-August-Dominique Ingres, der eigentlich seit 1801 in Italien weilte, um seine Studien voranzutreiben, jedenfalls dachten seine Eltern das, bis sie hinter sein Lotterleben kamen, ihm das Geld strichen und er nach Paris zurückkommen musste, um rechtschaffen zu arbeiten. Er portraitierte einige mehr oder weniger hochgestellte Persönlichkeiten, unter anderem die Vater, Mutter und das Töchterlein Riviere. Philibert Riviere war Regierungsmitglied, was jedoch nicht verhinderte, dass die drei Bilder, 1806 erstmals gezeigt, bei Publikum durchfielen, wobei man dem Maler eine Imitation Jan van Eycks nachsagte. Das kann ihm jedoch egal gewesen sein, denn das portraitierende Andienen jener Jahre ermöglichte ihm 1806 die Rückkehr in die Fremde, angeblich um die Renaissancemeister zu studieren. Die drei Bilder landeten letztendlich doch noch im Louvre und wurden weltberühmt, vor allem das irisierend bezaubernde Angesicht der Mademoiselle Caroline Riviere, die kurz nach dem Portraitieren mit 15 Jahren verstarb. Es ist also ganz und gar folgerichtig, dass wir dem ‹Fräulein Fluss› auch hier begegnen. Einige von Ihnen trafen sie schon vorher, 1997, in einer Ausstellung in Cham, allerdings noch eingesperrt in einen Lampenkasten, geschützt als Parodie, markiert als Nachempfindung, als Unernstigkeit. Jetzt ist sie davon befreit und bezaubert uns dreifach, pur und unverglast als meisterhafte Malerei. Im Internet kann man sie übrigens vielfach bestellen, als (Zitat) ‹Original-Imitation› und ‹handgemalte Ölgemälde-Reproduktion›. Doch das hat überhaupt nichts zu tun mit dem, was Roland Pirk-Bucher hier trieb. Sein Zitieren ist ein völlig anderes, und dazu möchte auch ich eben dies tun, nämlich zitieren, und zwar Bojarek Garkinski, der in einem hervorragenden und vor allem kurzen Text zu jener Ausstellung 1997 schrieb ‹[...] etwas stimmt nicht an diesen Bildern und dies ist keine Frage der Technik; da wird eine Art Manierismus oder Symbolismus im Kontext verschoben — in die heutige Zeit. Verschoben: es stimmt nicht überein. Wir wissen das beim Betrachten — als wärs ein Zitat, das wir dunkel kannten. Doch was ist ein Zitat? Etwas Wiedererlebtes, das sich selbst erkennt. Das ist brisant.› (Zitatende) Rodin wiederum sagte angesichts von Gericaults ‹Derby in Epsom›, zitiert nach Paul Virilio (‹Das öffentliche Bild›): ‹Das Gesamtbild ist in seiner Gleichzeitigkeit falsch; es ist aber richtig, wenn die einzelnen Bestandteile nacheinander betrachtet werden. Und es ist nur diese Wahrheit, die zählt, weil sie es ist, die wir sehen, und die uns ins Auge springt.› Und damit sind wir nun ENDLICH beim eigentlichen Hampelmann, über den in Kluges Etymologischem Wörterbuch steht: ‹Hampelmann m. (< 16. Jh.) Zunächst in der Bedeutung "Einfaltspinsel" bezeugt; seit dem 17. Jh. für "hüpfende Puppe" zu ndd. Hampeln, "sich hin und her bewegen"; unklarer Herkunft (wohl Lautgebärde). R. Lühr sieht in dem Verb eine Kreuzung zwischen ndd. Hoppeln (siehe hüpfen) und ndd. Ampeln; entsprechend strampeln.› Auffallend bei den Untersuchungen zur Typologie des Hampelmanns ist nun als erstes einmal die Begrenztheit des Bewegungsprofils. Im Vergleich der in sich beweglichen Kunstobjekte erlaubt der in der Regel zweidimensionale Körperbau des Hampelmann kein Spiel der Vielfalt wie beim Mobile, sondern immer ein zielgerichtetes Bewegen ausgewählter, die Aussage des Objektes bereits in sich tragender Körperteile. Es gibt einen Anfang und ein Ende der Aktion, freilich auch alles dazwischen; es gibt eine Ausgangs- und eine Zielposition des Körpers wie des Künstlers; in der kurzen, meist von unserer Gier nach Ergebnissen verwaschenen Spanne dazwischen fände vielleicht noch ein Nachdenken statt, ein Innehalten, möglicherweise sogar ein Diskurs im vorhinein, also vor dem Offenbaren der konkreten Aussage, aber das führt jetzt zu weit. A und B und dazwischen eine Unendlichkeit, dass soll uns als Anleitung für den heutigen Abend reichen. Damit haben wir genug zu tun, denn kein Hampel gleicht dem anderen und jeder erzählt eine eigene Geschichte, öffnet uns eine Welt, die uns zuweilen aus der Fassung bringen kann. Und wieder ist es Nietzsche, der da sagt, und das lässt sich auf uns wie auch auf manchen dieser Hampeln beziehen: ‹So darf man sich nicht wundern, dass bei allem Plötzlichen, Unerwarteten in Wort und Tat, wenn es ohne Gefahr und Schaden hereinbricht, der Mensch ausgelassen wird, ins Gegenteil der Furcht übergeht: Das vor Angst zitternde, zusammengekrümmte Wesen schnellt empor, entfaltet sich weit, — der Mensch lacht. Diesen Übergang aus momentaner Angst in kurz dauernden Übermut nennt man das <Komische). Dagegen geht im Phänomen des Tragischen der Mensch schnell aus grossem, dauerndem Übermut in grosse Angst über; da aber unter Sterblichen der grosse dauernde Übermut viel seltener, als der Anlass zur Angst ist, so gibt es viel mehr des Komischen, als des Tragischen in der Welt; man lacht viel öfter, als dass man erschüttert ist.› (Zitatende) Es ist tatsächlich so, als ob er sich selbst gesehen hätte, hier an der Wand. Übrigens hat auch Roland Pirk-Bucher sich selbst gesehen und hingehängt, nicht zum Ziehen, sondern zum Pusten, aber so sehr man auch pumpt, es tut sich nichts. ‹Leergepumpt› nennt er diesen Rückblick, und das hat wenig mit Schicksalhaftem zu tun, sondern — trotz aller mythologischen Schwere, die als Vorbereitung des Malgrundes unter der Farbe liegt, wie es sich bei Tafelbildern nun mal gehört — mit dem scheinbar ironischen, sarkastischen Blick aufs Leben, der in Wirklichkeit Lust ist, Lebenslust und Freude an allem, was so passiert, passieren kann. Lebenslust, die in einem abgeschotteten dunklen kleinen Atelier auf den Malgrund gerät, ein Rattern, Rauschen und Toben der Ereignisse, die — in aller Stille, und sowieso ist es ohrenbetäubend still in Poland Pirk-Buchers Bildern — auf die Bilder geraten, auf die Idyllen, die ihnen zugrunde liegen, auf die Vorstellungen von Welt, von schöner, unerreichbar schöner Welt, die es nun einmal nicht gibt. Mehr noch als andere Werkgruppen, Sujets und Bildarten im Schaffen von Roland Pirk-Bucher sprechen diese Hampeln von der Kunst selbst, von der Kunst des Lebens und jener Kunst, die per se immer im Krieg sein muss mit dem Leben, weil der Künstler, so er einer ist, nur im Krieg sein kann, mit der Welt. Das waren sie alle, die hier abgebildet sind, Van Gogh, Hodler, Wagner mitsamt seiner Zimmermädchen, Rubens und Dürer, Hölderlin, Rembrandt, Dokoupil und natürlich der olle Jupp, oder Seppi, wie man hier sagt, der, dem der Hut hochgeht, wenn er über die Schnur springt. Dazu noch einmal Nietzsche: (Zitat) ‹Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll ... Alle Wesen schufen bisher etwas über sich hinaus. Was gross ist am Menschen das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist.› Und der Mensch als Brücke zum neuen Menschen (Zitat) ‹ist ein Seil [...] gespannt über dem Abgrund.› Und wieder reicht die Zeit nicht, das zu sagen, was zu sagen ist, und das ist fester Teil im Spiel, in dieser ganzen Hampelei; ich gehe an der Wand entlang, ziehe an den Bildern und lasse sie leben, lasse sie mich erleben, denn ich selbst bin schliesslich auch nur Hampel, mache stets dieselbe Bewegung, weil es nämlich der Künstler ist, der das so will, der an mir zieht, damit ich an ihm ziehe. Und damit ist all dies mal wieder eines jener Tausch- und Rauschgeschäfte der Kunst mit dem Leben mit dem Tod.
ALZO SBRAGG
ALSO: Oh Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? ‹Ich schlief, ich schlief, aus tiefem Traum bin ich erwacht: Die Welt ist tief. Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh. Lust, tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit,  will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Ich schlief, ich schlief, aus tiefem Traum bin ich erwacht: Die Welt ist tief. Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh.