Im schweizerdeutschen Dialekt gibt's keine Zukunft und keine Vergangenheit (es sei denn, sie sei schon zum Mythos stilisiert: Wilhelm Teil ja, Verstrickungen im Zweiten Weltkrieg nein); es gibt nur das Partizip Perfekt. Was nicht nur ein sprachliches Handicap ist, sondern eine Totgeburt. Die Sprache nämlich verrät alles. Sie kann nicht anders. Roland Pirk-Bucher ist in diesem grotesken Sprachraum aufgewachsen. Auch er kann nicht anders. Seine Malart ist zwar perfekt, aber nicht kompatibel mit dieser primitiven Sprache. Also schliesst er sich ein, studiert die Alten Meister, sucht nach neuen Wegen. Denn der längste Weg ist immer der Irrweg. Er findet zwei Wege: er „ummalt" in altmeisterlicher Manier Renaissance-Künstler wie Leonardo, Dürer, Holbein d.J., Bellini, Raffael u.a., verfremdet die Vorlagen, fügt hinzu, verändert die Proportionen, verschiebt eine Art Manierismus in die heutige Zeit. Da ist nichts Altertümliches oder Altmodisches, er bringt die Repräsentation an sich heillos und dies humorvoll durcheinander zu ver-rückten Zitaten und verwirrenden Parodien. Offenbar sucht er das Urbild, den Prototyp, Elsheimers „spirituelles Licht". Der zweite Weg sind die „In-Bilder", direkt aus dem Innenleben oder Unterbewusstsein hochgekarrt in eine „peinture automatique", expressionistisch durchaus, da gibt's nichts zu erklären. Das muss man sehen. Diese zwei Wege ergeben eine „SKIZZOphrenie in Öl", ein Partizip Präsens, ein hinc et nunc. Partizip Präsens heisst: was ist jetzt? Philosophische Frage für die Pseudogebildeten, Überlebensfrage für die Andern. Denn es gibt noch einen andern Klassenkampf: den zwischen Kunst und Kultur. Kunst ist notwendigste Intensivierung des Lebens, Kultur ist schönes Wetter für die Allgemeinheit: es kommt darauf an, was man damit macht. Roland Pirk-Bucher ist zwar ein zweischneidiger, ja schizophrener Künstler; aber nicht zuständig für schönes Wetter. Was schön ist, bestimmt die Kunst. Nicht der Wetterbericht. Nun ist die Welt so eingerichtet, dass sie den Künstler vom Schaffen abhalten soll. Frauen, Kinder, Freunde, Alltagssorgen und vor allem der Gelderwerb zerknirschen ihn. Doch hat er - im Gegensatz zum Jedermann - ein Universum in sich, das er ausdrücken muss. Ein Künstler ist also ein Mensch mit Alltagssorgen plus Universum. Ein Stuntman der Geschichte auch. Wie viele Bilder hat van Gogh verkaufen können? Eine einzige Zeichnung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es fürderhin keine Erwerbsarbeit für alle mehr geben wird. Die „working poors" sind nur die Vorboten. Existenzlohn fÜr alle, finanzierbar durch Besteuerung der Kapitalgewinne. Das ist die einzige genuine Lösung.Und die Welt wäre freier und reicher. Denn es gibt zu viele Menschen, die so arm sind, dass sie nichts anderes haben als Geld. Wie der Bauer, der in der Pinakothek zu Stuttgart vor dem Bild „Maria und Josef auf der Flucht" seufzt: „Nichts zu essen und nichts zu trinken, aber von einem Rembrandt müssen sie sich malen lassen." Ein Künstler ist abhängig von der Inspiration. Ein altmodisches Wort. Die Wissenschaft hat aber herausgefunden, dass es am Hodensack einen frechen Muskel gibt, den „Cremaster". Es ist der einzige Muskel des menschlichen Körpers, der sich nicht trainieren lässt. Nach dieser Ausschweifung - aber Kunst ist immer erotisch - möchte ich noch darauf verweisen, dass Roland Pirk-Bucher mit seiner Zwei-Gleisigkeit die Flexibilität, die ach so geforderte, unterläuft. Er ist ein Wilder und ein Klassiker, weil im Partizip Präsens schaffend. Bojarek Garlinski, 24.10.97
Tim Buktu 1997
Partizip Präsens